Vereins-Geschichte

100 Jahre Einsatz zum Wohl der Tiere
von Ueli Schmid (Artikel aus dem «Frutigländer», 12. Juni 2008)

Der Tierschutzverein Frutigen feiert heuer sein 100-jähriges Bestehen. Bei der Hauptversammlung 2008 in Aeschi blickte die Präsidentin Susanne Grossenbacher zurück in die Vergangenheit und berichtete über die vielfältigen Aufgaben zum Wohl der Tiere in unserer Zeit.
Normalerweise ist der Erlebnishof „Hatti“ in Aeschiried mit Spielplätzen vor allem für Kinder und Jugendliche ein besonders, naturnahes Tummelfeld. Am 14. Juni sind es aber ausschliesslich Erwachsene, die von der Betreibern des Betriebs, der Familie Thalmann, über den aussehrgewöhnlichen Hof mit seinen Kühen, Pferden, Schweinen, Ziegen, Schafen, Kaninchen und unterschiedlichem Federvieh geführt werden. Sinnigerweise hat der Vorstand des  Tierschutzvereins Frutigen hierher eingeladen. Inmitten tierischer Umgebung feierte der Verein an besagtem Samstag sein 100-järiges Bestehen.

Harziger Start
Swisscom hat seinerzeit dem Erlebnishof „Hatti“ das weltweit grösste funktionstüchtige Telefon geschenkt. Heute beherbergt das Innere des mächtigen Hörers einen originellen Mehrzweckraum, der je nach Bestuhlung drei dutzend Personen Platz bietet. Hier haben sich die Tierschützer versammelt. Präsidentin Susanne Grossenbacher, die seit zwölf Jahren im Amt ist unter Applaus für weitere drei Jahre wiedergewählt wurde, erzählt kurzweilig und spannend über die vergangenen 100 Jahre. Sie berichte über den harzigen Start, weil sich Bauern, Metzger und Fuhrleute mit Nachdruck gegen das neumodische Gedankengut des Tierschutzes wehrten. rst nach mehreren beherzten Aufrufen in der Bevölkerung kam es am 10. Juni 1909 in der Wirtschaft „zum Leist“ zu einer konstituierenden Sitzung und zur Gründung des Tierschutzvereins Frutigen. Laut Protokoll waren 25 Mann anwesend und in offener Abstimmung wählten Sie Notar A. Büttikofer zu ihrem ersten Präsidenten. Pfarrer Schläfli berief man zum Vize-Präsidenten und Kassier, den Sekundarlehrer gleichen Namens zum Sekretär. Als Beisitzer fungierten Sekundarlehrer Neeser und Fabrikant Moser. Zu Beginn liessen sich 17 Personen als Mitglieder eingetragen. Sie bezahlten einen Jahresbeitrag von zwei Franken. Dem jungen Verein standen für seine Tätigkeiten im ersten Geschäftsjahr lediglich 150 Franken zur Verfügung.

Vielschichtige Problematik
Bereits ein Jahr später verzeichnete der Verein 30 Mitglieder und eine seiner ersten Aktionen bestand darin, dass 100 Tierschutzkalender bezogen und an den Schulen verteilt wurden. Die Kalender vermittelten nicht nur Wissenswertes aus dem Tierreich, sondern sie leiteten die Kinder ebenso zu einem gebührlichen Umgang mit Tieren an. Offenbar lag damals in Sachen Tierhaltung manches im Argen. Immer wieder gingen Klagen ein über unsachgemässe Haltung und Misshandlungen von Nutztieren seitens der Bauern und ihrer Knechte. In verschiedenen Fällen führten dies zu anzeigen und gerichtlichen Ahndung. Auch Metzger wurden gemassregelt, wenn sie Schlachttiere quälten. Die ersten beiden Jahrzehnte des Jahrhunderts verhalfen den Fuhrhaltereien zu besonderer Blüte, denn in dieser Zeit entstand die Lötschberglinie. Für Transporte ausserhalb des Schienenwegs standen dazu unzählige Pferdefuhrwerke im Einsatz, und in diesem Zusammenhang kam es ebenfalls zu zahlreichen Verstössen seitens der Fuhrleute. Selbst Kutscher, die bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges hinein von Frutigen aus täglich in mehreren Kursen Feriengäste und Reisende nach Kandersteg und Adelboden führten, bekamen die Härte des Gesetzes zu spüren, wenn sie ihre Pferde schlecht behandelten. Aber den Tierschützern ging es nicht in erster Linie darum, Fehlbare zur Rechenschaft zu ziehen. Sie kümmerten sich von Anfang an auch um Wildtiere, wie beispielsweise die Winterfütterung von Vögeln.

Der Krieg kommt dazwischen
Bis 1938 war die Mitgliederzahl auf 63 angestiegen und in diesen ersten 30 Jahren entwickelte der Verein eine  rege Tätigkeit, die jedoch im folgenden Jahr bei Ausbruch des zweiten Weltkriegs jäh unterbrochen wurden. Den Tierschützern erging es in der Zeit zwischen 1939 und 1945 wie vielen anderen Vereinen auch: Man hatte weder Zeit noch Musse, sich um die Vereinigung und deren Zielsetzungen zu kümmern. Andere Sorgen standen im Vordergrund, die Menschen litten, es ging vielen um das blosse Überleben. Und es sollte ein knappes Vierteljahrhundert dauern, bis einige Beherzte 1962 den Tierschutzverein Frutigen neu konstituierten.

Rascher Aufschwung
Von da an ging es mit dem Verein stetig aufwärts. Fast jährlich kamen Neuerungen hinzu. Man setzte sich für ein Coupierverbot bei Hunden und Schafen ein, man begann herrenlose Hunde an gute Plätze zu vermitteln, unterstützte Lilly Kambly und ihre erste Igelstation und man in gezielten Aktionen  Bauernhofkatzen zu kastrieren. Kontinuierlich stiegen auch die Beitritte an. Heute zählt der Verein, der das gesamte Amtsgebiet abdeckt 282 Mitglieder und weist eine bemerkenswerte Tätigkeit auf. So kastrierten im Jahr 2007 einheimische Tierärzte in einer gemeinsamen Aktion über 140 Bauernhofkatzen. Ausserdem führte der TSVF der Veterinär-Kompanie 3 unter Oliver Grand, die im Rahmen eines Wiederholungskurses in Interlaken eine mobile Tierarztpraxis unterhielten, weitere über 100 Katzen und Hunde, Meerschweinchen und Kaninchen zur Kastration zu. 
Die Katzenauffangstation in Krattigen, betreut von der Vize-Präsidentin Susanne Holzer, beherbergte im 2007 105 Katzen und vermittelte diese später in die ganze Schweiz und ins nahe Ausland.
Auch die Igelstation Frutigen unter der Leitung von Silvia Michel verzeichnete 2007 eine rege Tätigkeit. Knapp 240 Igel verabreichte man an insgesamt 444 Futtertage bekömmliche Nahrung. Eine ganze Anzahl konnte nach der Auffütterung und Behandlung wieder ausgewildert werden. Andere verbrachten den Winterschlaf auf der Igelstation und weitere überwinterten bei privaten Tierfreunden.

Mitglieder und Helfer gesucht
Laut der Präsidentin Susanne Grossenbacher ist der TSVF gemessen an seiner Mitgliederzahl und im Vergleich mit anderen Tierschutzorganisationen ein eher kleiner Verein. Finanziell steht er auf gesunden Bienen. Die knapp 10000 Franken Vermögenszunahme im vergangenen Jahr  lassen sich jedenfalls sehen. Lobend erwähnt sie die gute Zusammenarbeit mit den Behörden, Polizeiorganen und Wildhütern. Dennoch sind sich die Vorstandsmitglieder einig: Man könnte und müsste noch viel mehr tun. Aber es fehlt zuweilen an freiwilligen Helfern. Zuviel lastet auf den Schultern der einzelnen Aktiven, die ihre Arbeit zu Gunsten der Tiere unentgeltlich verrichten.
Deshalb nutzt die Präsidentin bei der Jubiläumsversammlung die Gelegenheit und ruft ihre Mitglieder einmal mehr dazu auf, für den TSVF und damit  für die Sache des Tieres zu werben. Denn, so Grossenbacher, jedes Tier solle seine Chance bekommen. Ob dreibeinig oder halbblind, ob krank oder ausgesetzt, halb verhungert und verwahrlost – gegenüber aller dieser Kreaturen soll der Mensch seine Verantwortung wahrnehmen.

Frutigländer, Dienstag 12. Juni 2008
Ueli Schmid 

Der Vorstand des TFSF anlässlich der HV:
(von links)
Susanne Holzer
Susanne Grossenbacher
Reto Gadient
Christine & Stephan Thalmann
(Erlebishof Hatti)
Ruth Schmid
Sahra Abt